Arznei­mittel­prüfungen an Minder­jährigen

Im April 2020 erschien der Abschlussbericht dieses Forschungsprojekts in digitaler Form, als Langfassung und als Kurzfassung, der später das Buch "Göttliche Krankheit, kirchliche Anstalt, weltliche Mittel" folgte. Das Thema der Arzneimittelerprobungen in den 1950er bis 1970er Jahren in zahlreichen west- und ostdeutschen Kinderheimen genauso wie in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie, in denen Minderjährige betreut wurden, ging seit Herbst 2016 durch die Medien. Der Vorstand der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel entschloss sich zur Aufarbeitung des Themenkomplexes für Bethel. Konkret geht es um Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen, die zwischen 1949 bis 1975 im Langzeitbereich der Stiftung Bethel wegen ihrer Epilepsie gelebt haben. Die historische Forschung erfolgte an einer Stichprobe von rund zehn Prozent aller während dieser Zeit im Langzeitbereich betreuten minderjährigen Patienten und Patientinnen. Voraussetzung für das Team der Forschenden war, dass es zunächst alle Minderjährigen für jedes Jahr einzeln zu erfassen galt. Eine Aufgabe, die das Hauptarchiv anhand der Aufnahmebücher übernommen hat. Entstanden ist eine Datenbank, auf deren Grundlage die Stichprobenauswahl erfolgte. Die Stichprobe wurde dann per Zufallsgenerator ermittelt und zwar für jedes Jahr einzeln. Da die Forschungen vor allem medizinisch ausgerichtet sein sollten, kamen nur Patientenakten infrage, die vollständig überliefert waren. Sie mussten aus einer Verwaltungsakte und einer Krankengeschichte bestehen. Anhand dieses Samples erfolgte die Erforschung des Themas, mit akribischer Auswertung der medizinischen und therapeutischen Vorgänge in jeder einzelnen Akte. Selbstverständlich waren die Anforderungen an den Datenschutz hoch. Aktenauswertung, Analyse und Texte erfolgten komplett anonymisiert. Eine Besonderheit war die interdisziplinäre Ausrichtung des Teams. Drei Fachleute aus den Bereichen Medizin, Medizingeschichte und Geschichtswissenschaft haben hier ihre Expertise gebündelt: Die Medizinhistorikerin und Psychiaterin Prof. Dr. Maike Rotzoll von der Universität Heidelberg, der Kinderneurologe Prof. Dr. Dietz Rating, Heidelberg und der Historiker Dr. Niklas Lenhard-Schramm, damals Universität Münster, heute Universität Hamburg. Eingeordnet wurden die Betheler Ergebnisse in die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik. Um den „Anstaltskosmos“ zu verstehen, in dem die Arzneimittelprüfungen stattfanden, wurden einzelne und kollektive Lebensbeschreibungen von minderjährigen Patienten und Patientinnen integriert. Für die gedruckte Fassung sind daher auch Fotos aus dem umfangreichen Fotobestand des Betheler Hauptarchivs zur Illustration ausgewählt worden.

 

Literatur:

Niklas Lenhard-Schramm, Dietz Rating, Maike Rotzoll, Göttliche Krankheit, kirchliche Anstalt, weltliche Mittel. Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen im Langzeitbereich der Stiftung Bethel in den Jahren 1949 bis 1975, Bielefeld 2022.